OFARINs Walnuss-Projekt
Die Provinz Khost liegt im Südosten Afghanistans an der Grenze zu Pakistan. Die Gegend wird von Monsun-Ausläufern erreicht, so dass sie – im Gegensatz zu den meisten Teilen Afghanistans – ausreichend Niederschläge erhält. Folglich war Khost einst reich mit wertvollen Bäumen wie Eichen oder Zedern bewaldet. Vor über hundert Jahren wurde in Britisch Indien das Eisenbahnnetz erweitert. Dorthin konnten man die edlen Hölzer mit Gewinn verkaufen. Die Baumstämme wurden in Form von Eisenbahnschwellen abtransportiert. Über die Hälfte des Holzes war Abfall. Das Holz eignete sich auch für den Bau von Häusern und Möbeln. In den letzten Jahrzehnten wurde es vor allem als Brennholz in die Stadt Kabul verscherbelt.
Zwischenzeitlich gab es Bemühungen die Baumbestände zu erhalten. Ein großes deutsches Forstprojekt bemühte sich sogar um Neuanpflanzungen. Seit 1978 herrschte Krieg und Bürgerkrieg in Afghanistan. Seitdem wurde nur abgeholzt. Inzwischen sind die Berge, die Khost einrahmen, kahl. Der Mutterboden fällt mehr und mehr der Erosion zum Opfer.
Einige von OFARINs Mitarbeitern stammen aus Khost. Ihnen war klar, dass eine verheerende ökologische Entwicklung stattfand. Sie schlugen vor, dass OFARIN etwas gegen das Unheil unternehmen soll. In Khost und einigen Nachbarprovinzen gab es Pinienwälder, die nicht abgeholzt worden waren. Die Bevölkerung erntete und verkaufte lieber Pinienkerne, als die Bäume zu schlagen und verkaufen.
In Khost herrschen Stammesstrukturen. Die Wälder und der Boden gehören dem Stamm, der dort lebt. In Stammesversammlungen wird über alle Belange der Bevölkerung entschieden. Lokale Behörden hatten in Zusammenarbeit mit Stämmen bereits kleinere Anpflanzungen von Walnussbäumen erfolgreich durchgeführt. Auch Walnussbäume werden von der Bevölkerung geschützt und gepflegt, weil die jährliche Ernte von Nüssen langfristig mehr bringt als der Verkauf eines Baumes.
Unsere Kollegen schlugen vor, in den Bergen der Provinz Walnussbäume anzupflanzen. Die Pascherli-Berge im Bezirk Tani verloren wegen ihrer Steilheit am schnellsten den Mutterboden. Hier war die Wiederbewaldung am nötigsten. Es sei verraten, dass unsere Kollegen zum Stamm Tani gehören, der dort siedelt. Das kann die Ortswahl auch etwas beeinflusst haben.
In „demokratischer Zeit“, also von 2002 bis 2022, hatte eine ausländische Organisation bereits an die Aufforstung mit Nussbäumen gedacht, hatte 2.000.000 Walnüsse von gut an die Gegend angepassten Sorten eingeführt und Bauern dafür gewonnen, Nussbaumschulen anzulegen. Sie wollte die Setzlinge später aufkaufen. Doch als die Taliban kamen, floh die Organisation. So konnten OFARIN jetzt Nussbaum-Setzlinge günstig kaufen.
Für jeden Setzling musste zunächst eine 50 cm tiefe, 60 cm breite und 150 cm lange Grube angelegt werden. Das ist kein Vergnügen. Der Boden ist mit Gras bewachsen und reichlich von Steinen durchsetzt. Wir gingen davon aus, dass ein Mann am Tag drei solcher Gruben ausheben kann. Diese Grube dient dazu, Niederschläge für ihren Baum zu sammeln. Der Setzling wird dann am Rand der Grube 60 cm tief eingepflanzt.
Das Ausheben der Gruben und das Einpflanzen der Setzlinge musste bis Februar 2024 erledigt sein. Im März treiben die Bäumchen Wurzeln und Blätter. Das Wirtschafts- und dann das Landwirtschaftsministerium mussten von dem Vorhaben überzeugt werden; und danach die Provinzbehörden in Khost. Wir waren so mutig gewesen, die Pflanzung von 20.000 Setzlingen zu planen. Ein ausgewachsener Nussbaum nimmt 1 Aar, also 10 m x 10 m, in Anspruch. Unser Nusswald sollte also, wenn er ausgewachsen ist, ein erhebliches Gebiet bedecken. Aber als der Plan dem stellvertretenden Landwirtschaftsminister vorgelegt wurde, fand der, dass für den Finanzaufwand zu wenig Bäume angelegt würden. Wir entschieden uns, sogar 33.500 Bäume zu pflanzen. Ende Oktober 2023 war das Projekt endlich genehmigt.
Das Ausheben der Gruben musste bezahlt werden. Wir hatten reichlich Geld abgeschickt. Aber das kam nicht auf unserem Konto in Kabul an. Eine Zwischenbank verweigerte die Weiterleitung. Wir mussten sie überzeugen, dass das Geld nicht bei Terroristen landet, die auf einer Liste von Unpersonen standen. Das dauerte gut zwei Monate. Als das Geld dann doch in Kabul eingetroffen war, waren alle Bankkonten ausländischer Hilfsorganisationen gesperrt. Die afghanischen Behörden hatten das Finanzgebaren von Hilfsorganisationen unter die Lupe genommen und waren auf zahlreiche Unterschlagungen und Schmiergeldzahlungen gestoßen. Als die Taliban kamen, waren viele Ausländer geflohen und afghanische Mitarbeiter vergriffen sich an den Konten ihrer Organisationen. Jetzt sollten erst einmal alle Organisationen durchleuchtet werden. Die Konten sollten bis auf weiteres gesperrt bleiben. Aber OFARIN musste seine Arbeiter entlohnen.
Wir mussten auf Schleichwegen Gelder auftreiben und die braven Männer, die die Gruben aushoben, immer wieder vertrösten. Wir hatten in Khost Mitarbeiter eingestellt. Das Zusammenspiel zwischen ihnen und der OFARIN-Zentrale in Kabul meisterte alle Schwierigkeiten.
Das Projektgebiet reichte bis an die Staatsgrenze. Auf pakistanischer Seite waren Milizen stationiert, da sich Aufstandsbewegungen gegen die Regierung regten. Eines Nachts begannen die pakistanischen Milizionäre in die Luft zu schießen. Ihnen waren die ununterbrochenen Aktivitäten auf der anderen Seite unheimlich. Afghanische Grenztruppen verhandelten mit den Pakistanern, konnten sie aber nicht beschwichtigen. Der afghanischen Leiter von OFARIN musste zusammen mit dem Finanzchef aus Kabul anreisen und die Pakistaner überzeugen, dass auf afghanischer Seite nur Bäume angepflanzt wurden.
Am 20. Januar 2024 war der letzte Setzling eingepflanzt. Es begann zu schneien. Ein großes Abschlussessen für alle Beteiligten fand statt. Inzwischen sind unsere Konten frei. Alle, die mitgearbeitet haben, haben ihren Lohn erhalten. Auch die Setzlinge sind bezahlt.
Jetzt sind wir gespannt, wieviel der Setzlinge Blätter treiben werden. OFARIN betreut das Projekt weiter. Lokale Mitarbeiter achten darauf, dass die Einwohner ihre Zusagen einhalten und z.B. keine Ziegen und Schafe in das Gebiet treiben. Die Gruben müssen weiter ihre Funktion als Flüssigkeitsspeicher erfüllen können. Aufklärungsveranstaltungen für die Bevölkerung werden stattfinden. Nach weiteren drei Jahren sollten möglichst viele Nussbäume selbständig überleben können und erste Nüsse liefern. Dann übernimmt der Stamm die Bäume und entscheidet über die Verwendung der Ernte.
Einige unserer Kollegen hatten sich unter der Bezeichnung HTPU zusammengeschlossen und auf eigene Faust Initiativen in der Landwirtschaft begonnen. Die interessieren sich schon für Ölpressen, mit denen man Walnussöl gewinnen kann. Walnussöl ist ein sehr feines Speiseöl und kann auch zur Hautpflege verwendet werden. In Deutschland kann man Walnussöl sehr gut verkaufen. OFARIN als gemeinnützige Organisation darf mit solchen gewinnbringenden Geschäften nichts zu tun haben. Aber Kollegen von uns dürften sich mit dem lokalen Stammesangehörigen zusammensetzen und überlegen, wie sie den Menschen dort zu wirtschaftlicher Prosperität verhelfen können.
Die Planung und Durchführung dieses riesigen Projekts hat OFARIN viel Achtung, ja Bewunderung beschert. Andere Hilfsorganisationen äußern sich staunend über den vergleichsweisen geringen Personal- und Finanzeinsatz. Die Provinzbehörden lobpreisen die schiere Größenordnung des Projektes und die exakte Einhaltung aller Zeitpläne. Aber in einer Gesellschaft in der viele Familien und Sippen um Ruhm und Anerkennung ringen, ist der Preis des Ruhmes immer auch der Neid der anderen. Wir hoffen, dass der sich im Rahmen hält.
Andrerseits gibt es in Khost und in den benachbarten Provinzen viele entwaldete Berge, die man ebenfalls mit Nussbäumen oder auch mit anderen fruchttragenden Bäumen bepflanzen sollte. Und allen, die über solche Aktivitäten nachdenken, fällt zuallererst OFARIN ein.