OFARINs Unterricht
Liebe Freunde!
Hier soll ein Überblick über unseren Unterricht gegeben werden. Dabei werden sich einige von Ihnen wundern, denn es geht in OFARINs Klassen nicht immer so zu, wie in der Schule, in die Sie einmal gegangen sind oder in die Ihre Kinder gehen. Sie würden daher gerne Zwischenfragen stellen. Aber wenn wir die zuließen und zu beantworten versuchten, würde es ewig dauern, bis der Überblick über „OFARINs Unterricht“ entstünde, der in diesem ersten Abschnitt angestrebt wird. Da ich aber schreibe und nicht vortrage, gebe ich Ihnen gar nicht die Gelegenheit zu fragen. Ich frage selber und gebe Ihnen einen Hinweis, wo Sie nachschlagen können, um eine Antwort auf meine Zwischenfrage zu finden – in eckigen Klammern.
OFARINs Unterrichtsprogramm entstand in den Jahren 1998/1999, als die „alten Taliban“ von 1996 bis 2001 über den größten Teil Afghanistans herrschten. Seit 2001 wird es von unserem Verein OFARIN verantwortet, der 1996 in Deutschland gegründet und als gemeinnützig anerkannt ist – also Spendenquittungen ausstellen darf. Seit 1998 ist OFARIN bei afghanischen Behörden – früher beim Planungsministerium, jetzt beim Wirtschaftsministerium – als internationale Hilfsorganisation (NGO) registriert. Das Programm wurde zunächst vom Deutschen Caritas-Verband und den US-amerikanischen Catholic Relief Services unterstützt, später vom Bischöflichen Hilfswerk Misereor. Seit 2018 finanziert sich OFARIN nur durch Privatspenden.
Bis 2023 hat OFARIN nur das Unterrichtsprogramm betrieben, um das es hier geht. Seitdem wenden wir uns auch anderen Gebieten zu, wie der Wiederaufforstung und der Hilfe für Schwangere und Wöchnerinnen. [Mehr dazu finden Sie jetzt oder bald in dieser Homepage].
OFARINs Unterricht wurde seit 2001 immer von um die 4.000 Schülerinnen und Schülern besucht. Unter den Schülerinnen waren und sind auch erwachsenen Frauen, die meist keine staatliche Schule besucht haben und bei uns noch schreiben und lesen lernen wollen. Der Unterricht findet und fand in Moscheen und in Privatwohnungen (oft der Lehrkräfte) statt, jetzt auch in angemieteten Anwesen, manchmal in Garagen.
OFARINs Unterricht dauert für jede Klasse täglich nur 90 Minuten. [„Warum denn das?“ – Siehe: „Der Status von OFARINs Unterricht“!]. Von den 90 Minuten sind 30 Minuten für den islamischen Religionsunterricht reserviert. Dieser Unterricht wird von unseren Lehrkräften erteilt, aber von Mullahs der Moscheen betreut, in denen wir arbeiten. Er gleicht dem Religionsunterricht an staatlichen Schulen. In OFARINs eigentlichem Unterricht wird das Schreiben und Lesen der Muttersprache unterrichtet (Alphabetisierung). Außerdem werden die Grundrechenarten innerhalb der natürlichen Zahlen (mit 0) gelehrt. Das führt bis zum schriftlichen Teilen siebenstelliger Zahlen durch drei- oder vierstellige Zahlen, allerdings mit Rest, denn zu Brüchen und Dezimalbrüche sind wir bisher nicht vorgedrungen. Auch gibt es Fingerübungen in der ebenen Geometrie (z.B. Konstruktion des Innen- und des Umkreises des Dreiecks).
Die Alphabetisierung wird sehr gründlich und etwas schematisch durchgeführt. Hier lernen die Schüler tatsächlich Lesen und zu verstehen, was sie lesen – und die meisten Lehrkräfte ebenfalls. [„Wie bitte? Das muss unbedingt erläutert werden.“ – Das wird im Abschnitt „Das Personal für den Unterricht“ geschehen.] In den ersten Jahren klappte es mit unserem Mathematik-Unterricht nur schlecht. Wir begannen den Rechenunterricht gleichzeitig mit der Alphabetisierung. Wir schrieben ein Buch, nach dem die Lehrer das Rechnen unterrichten sollten. Die Schüler konnten ja noch nicht Lesen. Der Lehrer musste den Stoff des Rechenunterrichtes mündlich vermitteln. In manchen Moscheen werden über zehn Klassen gleichzeitig unterrichtet. Dort ist es für die Lehrkraft schon ein akustisches Problem, sich verständlich zu machen. Aber wir waren auch nie sicher, ob unsere angelernte Lehrkraft [„Was?“ – siehe wieder „Das Personal für den Unterricht“!] den Lehrstoff, der in unserem Buch steht, richtig verstanden hat. Und selbst, wenn sie alles gut verstanden hatte, drückte sie sich vielleicht unglücklich aus, und die Schüler verstanden die Lehrkraft nicht. Stellen Sie sich eine Textaufgabe mit „wenn dann“ und „wenn nicht dann nicht“ vor! Die muss der Lehrer korrekt formulieren, damit die Schüler wissen, was sie tun sollen! Wir verzweifelten und wollten aufgeben.
Noch rechtzeitig ging uns ein Licht auf: Wir durften den armen angelernten Lehrer nicht mit der Vermittlung des Stoffes allein lassen. Ein Lehrbuch, in dem die Schüler alles korrekt nachlesen können, musste den Lehrer ergänzen. Dann brauchte er nur zu sagen: „Lest bitte Aufgabe 5 b durch und löst sie!“ Voraussetzung war allerdings, dass die Schüler schon lesen und schreiben können. Wir stellten den ganzen Unterricht um. Jetzt findet zuerst – neben dem Religionsunterricht – nur die Alphabetisierung statt. Erst wenn die Klasse lesen und schreiben kann, beginnt der Mathematikunterricht, gestützt auf ein Schülerlehrbuch, das alle Schüler erhalten. Jetzt können die Schüler die Aufgaben selber lösen. Aber wer entscheidet, ob Lösungen, die die Schüler gefunden haben, richtig sind? Und wer erklärt den Lösungsweg, so dass alle Schüler ihn verstehen? Das muss der Lehrer weiterhin leisten. Dazu reicherten wir das Schülerlehrbuch mit Lösungsvorschlägen zum Lehrerlehrbuch an.
Diese Umstellung brachte es. Die Schüler stürzten sich mit Begeisterung auf knackige Textaufgaben, die wir ihnen bisher nicht stellen konnten. Die Umstellung wurde ein kollektives Erfolgserlebnis für OFARINs Schüler, Lehrer, Trainer und für die Leitung. [„Entschuldigung! Was sind denn jetzt wieder Trainer?“ – Das finden Sie in „Das Personal für den Unterricht“.]
Erst langsam verstanden wir, dass die elementaren Dinge, die wir unseren Schülern vermittelten, in staatlichen Schulen und auch in den Privatschulen, die in Afghanistan zugelassen sind, keineswegs erlernt werden, auch nicht in zwölf Schuljahren mit täglich fünf oder sechs Stunden. [„Das ist kaum zu glauben. Das muss erläutert werden.“ – Siehe: „Staatliche Schulen in Afghanistan“!] Natürlich identifizierten sich OFARINs Schüler, Lehrer und Trainer gerne mit einem Schulbetrieb, bei dem man mehr und besser lernt, als in staatlichen Schulen. Sicher spielen auch die Prinzipien, die OFARINs Schulprogramm zu Grunde liegen, eine Rolle dafür, dass unser Unterricht beliebt ist. [Siehe: „Die Prinzipien von OFARINs Unterricht“!]