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Die Geschichte von OFARIN

​Dr. Ruth Pfau, eine deutsche Ärztin und Ordensschwester, die große Verdienste um die Lepra-Bekämpfung in Pakistan hat, rief im Jahre 1984 das afghanische Anti-Lepra-Programm Lepco ins Leben. Nach dem Sturz der Kommunisten in Afghanistan im Jahre 1992 wurde die Zentrale von Lepco von Pakistan nach Afghanistan verlegt. Damit löste sich Lepco aus der Rechenschaftspflicht des pakistanischen Programms.

Die Geldgeber forderten den Direktor von Lepco auf, einen in Deutschland eingetragenen Verein zu gründen, der für Lepco rechtlich verantwortlich ist. Der Direktor bat Dr. Peter Schwittek, diese Aufgabe zu übernehmen. Der Verein wurde 1994 gegründet und hieß GESA. 2010 trat GESA seine Verantwortung für Lepco an ein Gremium deutscher Hilfsorganisationen unter Federführung der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) ab, damit Lepco größere Möglichkeiten erschlossen werden können, seine Arbeit für Afghanistan weiter zu entwickeln. GESA löste sich auf.

​GESA war durch seine Satzung ganz auf die Aufgaben von Lepco fixiert. Nicht einmal eine allgemeinmedizinische Gesundheitsstation durfte GESA betreiben, geschweige denn eine Brücke bauen. Die Durchführung solcher Projekte war aber bisweilen sinnvoll. Deshalb gründete die Mitgliedschaft von GESA 1996 einen weiteren Verein mit sehr allgemeiner Aufgabenstellung namens „Organisation zur Förderung afghanischer regionaler Initiativen und Nachbarschaftshilfen e.V.“ (OFARIN). In den afghanischen Sprachen Dari und Paschtu bedeutet „Ofarin!“ etwa „Prima!“ oder „Richtig!“ Vorsitzender war in den ersten zehn Jahren nach der Gründung der emeritierte Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde.

​OFARIN blieb zunächst untätig. 1998, als die Taliban die Macht ausübten, übernahm Peter Schwittek die Leitung eines Büros namens COFAA in Kabul, das Caritas-Organisationen verschiedener Länder finanzierten. Zum Schwerpunkt der Arbeit dieses Büros wurde bald ein Moschee-Schulprogramm in Kabul und in der Provinz Logar. In diesem Programm konnten Schüler bis zur sechsten Klasse ganz normalen Schulunterricht besuchen, der allerdings in Moscheen stattfand. Mädchen durften an diesem Unterricht teilnehmen. Das war etwas ganz Besonderes, denn die Taliban hatten Mädchen jeden Schulunterricht verboten. So gab dieses Programm Mädchen und Frauen in schwerer Zeit Mut und Hoffnung. Es wurden mehr als 10.000 Schüler unterrichtet, die knappe Hälfte Mädchen.

Trotz dieses ganz wichtigen Programmes wurde das Büro COFAA Ende 2000 aus finanziellen Gründen geschlossen. ​Zwei der Geldgeber, der Deutsche Caritasverband und die amerikanischen Catholic Relief Services, förderten aber das Moschee-Schulprogramm weiter. OFARIN übernahm die Verantwortung. Das Personal von COFAA wechselte zu OFARIN.

​In den Jahren um die Jahrtausendwende litt Afghanistan unter einer schweren Dürre. OFARIN organisierte Brunnenbau-Projekte, durch die über eine halbe Million Weinstöcke gerettet, Krankenhäuser mit Trinkwasser versorgt und öffentliche Pumpen für Kabuler Stadtteile angelegt wurden. Während die Taliban 2001 von der US-Luftwaffe vertrieben wurden, konnte OFARIN in einigen Krankenhäusern Notlöhne an das gesamte Personal zahlen und dadurch die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen aufrecht halten.

​Auch nach dem Sturz der Taliban blieb das Moschee-Schulprogramm der Schwerpunkt der Arbeit von OFARIN. Zunächst wurde Kontakt zum Erziehungsministerium gesucht. Es zeigte sich, dass dieses Ministerium sehr genau vorgeben wollte, was seine Partner zu tun haben. Über die geplanten Ausgaben mussten wir Auskunft geben, bevor die Einnahmen feststanden. Aber auch Baumaßnahmen und vor allem die Gestaltung des Unterrichts waren detailliert vorgeschrieben und ermöglichten keine eigenen Entwicklungen. Wir entschlossen uns daher, das Erziehungsministerium nicht zu unserem Partnerministerium zu machen. Im Nachhinein gesehen, war diese Entscheidung richtig. OFARIN wäre sonst dazu gezwungen gewesen, nach Regeln zu arbeiten, die keinen sinnvollen Unterricht erlaubt hätten [Link zu „Die öffentlichen Schulen in Afghanistan“].

Zu Talibanzeiten hatten wir mit dem Ministerium für Religiöse Angelegenheiten (Min. Rel.) zusammengearbeitet. Dieses Ministerium ist für die Besetzung von Stellen und für Ausbildungsmaßnahmen in den Moscheen zuständig und auch für die afghanischen Mekka-Pilger, also die Hadsch. Dieses Ministerium empfing uns mit offenen Armen. Die nach dem Sturz der Taliban eingesetzten Vizeminister erläuterten, dass viele konservative Familien befürchteten gegen die Religion zu verstoßen, wenn sie ihre Kinder in staatliche Schulen schickten. Der Besuch einer Moschee stoße dagegen auf geringere Vorbehalte. Wir würden viele Schüler erreichen, die nicht in die staatlichen Schulen gehen. Sie sollten Recht behalten. Min. Rel. blieb OFARINs Partnerministerium.

Die Zusammenarbeit mit den Mullahs im Ministerium und in den Moscheen ist freundschaftlich und problemlos. OFARIN hält diese Beziehung für besonders wichtig. Seit dem König Amanullah, der 1919 an die Macht kam, versuchte die afghanische Regierung das Land von oben herab zu modernisieren, ohne dass die entsprechenden Reformen mit den gesellschaftlichen Kräften ausreichend abgesprochen wurden. Das Militär, die Justiz und das Schulwesen sollten nach westlichem Vorbild neu aufgebaut werden. Bis dahin hatten die Alphabetisierung der Jugend, wenn sie überhaupt stattfand, und die Justiz in den Händen der islamischen Geistlichkeit gelegen. Die Mullahs verloren an Einfluss und hintertrieben den Aufbau des Schulwesens. Die afghanische Gesellschaft wurde gespalten und es wurde viel Blut vergossen. Seit der Vertreibung der Taliban Ende 2001 leben Staat und Klerus friedlich zusammen. Aber in Teilen der Bevölkerung herrscht Unsicherheit, ob der Besuch der staatlichen Schulen nicht doch in die Hölle führt. OFARIN hat daraus gelernt, dass man die Mullahs mitnehmen muss, wenn man in Afghanistan Fortschritte erzielen will. Die Zusammenarbeit mit den Moscheen und dem Min. Rel., die in diesem Ausmaß keine andere Organisation pflegt, ist ein wichtiger Beitrag zur inneren Aussöhnung Afghanistans.

Im Jahre 2006 wurde OFARINs Arbeit mit dem Würzburger Friedenspreis ausgezeichnet.

Ein Teil des Unterrichts fand nun auch in Privatwohnungen statt. Der Unterricht konzentrierte sich auf die elementare Schulbildung mit Inhalten bis Klasse 3. Das Erlernen des Lesens (und Verstehens) und des Schreibens sowie die Beherrschung der Grundrechenarten und ihrer aktiven Anwendungen standen im Vordergrund. Wir orientierten uns an den Lehrplänen der öffentlichen Schule, um mit diesen vielleicht doch zu einer gewissen Zusammenarbeit zu kommen. In den staatlichen Schulen wurde für die vierte Klasse das Erlernen der zweiten Landessprache und des Englischen als Fremdsprachen vorgeschrieben. Die staatlichen Schulen scheitern an dieser Aufgabe vollkommen. OFARIN konnte sich einen solchen Misserfolg nicht leisten und beschränkte sein Unterrichtsangebot auf den Stoff der ersten drei Schuljahre.

In der Provinz Pandschir haben wir an verschiedenen Orten kleinere Unterrichtsprogramme durchgeführt, die nicht sehr glücklich verliefen. 2010 haben wir im Bezirk Paryan, im äußersten Nordosten der Provinz, Partner gefunden, mit denen wir erfolgreich zusammenarbeiten.

Von 2002 bis 2008 unterstützte OFARIN in der Provinz Wardak eine Waisenschule für Jungen und auch einige Einzelklassen für Mädchen in der Umgebung dieser Schule. Beides musste auf Grund der zunehmend unruhigen Lage dort aufgegeben werden.

2008 begann OFARIN in Kabul ein Vorschulprogramm, das von Anne Marie Schwittek verantwortet wurde. Die afghanischen Frauen sind zwar meist zu Hause, aber sie sind durch die archaische Hausarbeit und vor allem die hohe Kinderzahl überlastet. So kümmern sich die älteren Geschwister, Cousins und Cousinen um die jüngeren – meist mit wenig Begeisterung. Eine Kommunikation findet kaum statt. Die Kinder wissen sehr wenig, wenn sie in die Schule kommen. Sie können z.B. die Farben nicht bezeichnen. So etwas lernten sie in unserer Vorschule. Sie entwickelten Verständnis für die einstelligen Zahlen und Begriffe wie oben und unten, rechts und links. Es wurde viel und begeistert gemalt. Die bis zu 700 Vorschüler waren mit großem Eifer bei der Sache. Sie saugten die Neuigkeiten, die sie lernten, wie Schwämme auf. Wenn eine Vorschulklasse ihren Stoff durchgenommen hatte, was nach einem guten halben Jahr der Fall war, wurden sie in das Moschee-Schulprogramm übernommen.

Die Finanzierung von OFARINs Moschee-Schulprogramm ging 2005 auf das Bischöfliche Hilfswerk Misereor über. Für dieses Programm erhielten wir für die Zeit von 2014 bis 2017 insgesamt 2.000.000 €. Das Vorschulprogramm wurde von der Staub-Kaiser-Stiftung in Winterthur (CH) und dem Kindermissionswerk unterstützt.

Ende 2016 teilte uns Misereor mit, dass das Bischöfliche Hilfswerk uns nicht weiter unterstützen wird, weil die Sicherheitslage die Entsendung eigenen Personals zur Begleitung von Partnerprojekten sehr erschwert. OFARIN erhielt noch bis Ende Februar 2018 eine Abschlussförderung, die einen Notbetrieb für etwa die Hälfte der Schüler ermöglichte. Die Vorschulerziehung wurde bis auf weiteres eingestellt, da die Übernahme der Vorschulklassen in das Moschee-Schulprogramm nicht mehr möglich war.

OFARIN konnte das Moschee-Schulprogramm nach dem Auslaufen jeder Förderung durch Misereor höchstens in kleinerer Größenordnung fortführen. Das bedeutete viele schmerzliche Entlassungen. Doch hatte das Programm sich inzwischen als so erfolgreich und allen Bemühungen anderer Akteure im Unterrichtswesen überlegen erwiesen, dass seine Kompetenzen für Afghanistan nicht verloren gehen dürfen. Das zeigten uns Betroffene in dieser schwierigen Situation mit überwältigender Eindringlichkeit. Über 50 Lehrer arbeiteten ohne Bezahlung weiter, um dazu beizutragen, dass „ihr“ Programm überlebte. In Europa wurde unsere Lage durch Medienberichte etwas bekannt. Wir erhielten viele Ermunterungen und Unterstützungen, unsere Arbeit fortzusetzen. „Wenn es in Afghanistan Fortschritt geben soll, dann geht das nur über schulische Bildung.“

 

Viele Menschen und Institutionen hielten das Überleben des Moschee-Schulprogrammes für ihre eigene Aufgabe. OFARIN beschloss, das Programm fortzusetzen und ist dabei aus den Menschen, denen unser Moschee-Schulprogramm ein Anliegen ist, ein Netzwerk von Partnern zu machen, damit möglichst viele afghanische Schülerinnen und Schüler lesen, schreiben und rechnen lernen können.


 

Kabul im Mai 2018                                                       Peter Schwittek.

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